Dieser Artikel ist im Januar 1997 in der 309ten Ausgabe der Mainzer Unipress erschienen. Zu einer Zeit also, als noch niemand das Wort "googlen" kannte. Die dargelegten Bedenken gegenüber einer übereilten elektronischen Zweitveröffentlichung gewisser Printmedien sind zwar heute – mehr als ein Jahrzehnt später – noch genauso aktuell und relevant wie damals. Aber beim Wiederlesen beschleicht mich der zeitgeschichtlich interessante Eindruck, dass in der Ära des Bloggertums und der sozialen Netzwerke unser Selbstbewusstsein (oder unsere Eitelkeit?) gestiegen ist: Der digitale Schatten wird heute bewusst gepflegt! Andererseits zeigen selbst die Apologeten der Internet-Suche mittlerweile Einsicht. Der im Rückblick nahezu visionäre Artikel sei hiermit nachträglich der Indizierung durch Suchmaschinen vorgeworfen.
…können weit, weit auseinanderliegen. Diesmal wird uns die alte Weisheit vom Pressereferat des AStA demonstriert, welches voreilig und unüberlegt die UNIPRESS ins Internet, genauer gesagt ins World Wide Web (WWW), beförderte. Nein, um eine platte Kritik der Aufmachung dieser Cyberspace-Auflage geht es mir hier nicht. Vielmehr um eine Analyse der sich damit auftuenden Möglichkeiten und Gefahren.
Die Problematik besteht in einer besonders wenig bekannten – weil neuen – Dimension des Persönlichkeitsschutzes. Die UNIPRESS war jahrzehntelang das offene Diskussions- und Informationsforum der Studierendenschaft. (vgl. Impressum) auf dem sowohl uniinterne als auch allgemeine gesellschaftliche und politische Themen eine Bühne fanden. Daß es mit dieser Offenheit bald ein jähes Ende haben könnte möchte ich versuchen aufzuzeigen.
Alle Artikel, die im WWW veröffentlicht und archiviert werden (beide Bedingungen sind für die UNIPRESS erfüllt) können per Definition weltweit eingesehen werden – nicht nur von denkenden Menschen sondern auch von stupiden Computern, denn das Format ist direkt maschinenlesbar. Es wäre also denkbar, daß jemand einen Computer so programmiert, daß er systematisch den gesamten Inhalt des WWW abscannt, speichert und nach allen vorkommenden Begriffen sortiert. Da das Produkt einem Index des gesamten WWW gleichkommt sagt man auch, die Daten werden „indiziert“. Diesen Index könnte mensch dazu benutzen um sich in sekundenschnelle WWW-Adressen ausgeben zu lassen, auf denen ein gewisser Begriff vorkommt. Dank moderner Datennetze dauert es dann nur noch einen Mausklick, bis das Originaldokument vorliegt.
Soweit die Theorie. Doch die Praxis hinkt keinesfalls hinterher, im Gegenteil. Eine ganze Reihe von Suchmaschinen stehen weltweit der vernetzten Öffentlichkeit gratis zur Verfügung1.
Gerade aber die öffentliche Zugänglichkeit dieser WWW-Inhaltsverzeichnisse kann nun für einzelne Individuen unter Umständen böse Überraschungen zur Folge haben. Es darf nämlich nicht mehr davon ausgegangen werden, daß ein einmal geschriebener Artikel campusweit erscheint um dann langsam in Vergessenheit zu versinken. Nein, der namentlich unterzeichnete Artikel bleibt nämlich weiterhin archiviert und mit oben geschildertem Mechanismus per Knopfdruck abrufbar. Dies und die Konsquenzen daraus haben die AutorInnen noch nicht realisiert. Ich will nun noch ein paar Szenarien konstruieren, die wohlgemerkt keine Utopie mehr sind und sich so oder ähnlich in anderem Zusammenhang vielleicht sogar schon abgespielt haben.
Die Liste von Artikeln und Berichten, die irgendwann einmal zu einem Fallstrick werden können, läßt sich beliebig fortsetzen: Artikel die der Kerntechnik kritisch gegenüberstehen, Artikel mit feministischem Inhalt, antimilitaristische Artikel (wie sie zum Beispiel während des Golfkrieges inflationär zu lesen waren). Es spielt auch keine Rolle, welche Personen nun gegen welche Hochschulgruppe polemisieren, obiges Beispiel wurde nur wegen seiner Aktualität gewählt. Die Rollen können fast beliebig vertauscht werden. Aber auch gezielter Mißbrauch ist denkbar, wenn zum Beispiel unwahre Behauptungen über Personen propagiert werden. Die UNIPRESS als Plattform für Zeitbomben übler Nachrede? Denkbar wäre auch das. Abseits solcher Bösartigkeiten wiederholt sich der Mechanismus: Die AutorInnen halten die freie Meinungsäußerung auf dem Campus für eine Selbstverständlichkeit, stehen natürlich auch zu ihren Artikeln indem sie sie namentlich kennzeichnen. Daß aber die Publikation ihrer Artikel im Internet eine völlig neue Dimension der Überwachung mit sich bringt im Vergleich zur Publikation auf unserem winzigen Campus können sie nicht realisieren, ohne sich intensiv mit den elektronischen Medien auseinandergesetzt zu haben.
Ein verantwortliches Pressereferat jedoch hätte schon frühzeitig die Problematik erkennen und sich über Gegenmaßnahmen Gedanken machen müssen. Es kann nicht angehen, daß es Studierende diesen nur schwer abschätzbaren Gefahren aussetzt, ohne darüber eine Diskussion geführt zu haben. Es gibt eine Reihe von denkbaren Möglichkeiten, diesen Gefahren einen Riegel vorzuschieben, alle haben ihre Vorteile und Nachteile:
Ich hoffe, die obigen Ausführungen waren selbst für in den elektronischen Medien unerfahrene Leser verständlich und können dazu dienen, eine Diskussion auszulösen. Die derzeitige Praxis, alle Artikel vollständig und ungeschützt im WWW zu archivieren ist jedenfalls nicht akzeptabel.
Richy Kreckel
Anm: Solange kein Konzept zur Verhinderung einer Datenindizierung der UNIPRESS vorliegt wird dieser Artikel in der WWW-Ausgabe nur unter dem Pseudonym Peter Silie publiziert.
1Die
monumentalsten WWW-Indizes sind Altavista
(http://altavista.digital.com/) und Inktomi
(http://inktomi.berkeley.edu/) in den USA. Aber auch in
Europa gibt es eine große Anzahl von Suchmaschinen. Neben allgemeinen
gibt es solche, die sich nur auf bestimmte Themen spezialisiert haben
und solche, die sich nur für bestimmte geographische Regionen
interessieren. So besteht das untere Ende des Spektrums aus
Maschinchen wie dem Mainzer Harvest-Broker
(http://www.uni-mainz.de/Harvest/brokers/www.uni-mainz.de/query.html),
einer Suchmaschine nur für den Campus der Johannes
Gutenberg-Uni.